Ich fand immer, wir waren eine perfekte Familie, wenn es so etwas überhaupt gibt, doch jetzt, was ist schon perfekt, wenn ein wesentlicher Teil fehlt?
Es war der Abend des Ostermontags, ich war gerade auf der Fahrt zu einer Geburtstagsfeier, als mein Vater mich anrief und mir sagte, ich solle doch nach Adelebsen kommen, die Spielhalle wurde überfallen und dass ich vorsichtig fahren soll. Mehr wusste ich nicht, außer natürlich, dass meine Schwester Melanie dort manchmal arbeitet. Mit einem Gefühl der Ungewissheit und dem Gedanken, sie braucht jetzt vielleicht eine Menge Unterstützung um diesen Schock zu verarbeiten oder vielleicht ist sie sogar verletzt worden, fuhr ich nach Adelebsen, mehr wollte ich mir nicht ausmalen. Von weitem konnte ich schon das Licht des Krankenwagens sehen und als ich endlich angekommen war, sah ich, dass die Spielhalle von der Polizei abgezäunt war. Ich kann mich nicht mehr erinnern, welche Gedanken mir bei diesem Anblick durch den Kopf gegangen sind, ich weiß nur, dass ich an das, was wirklich geschehen ist, nicht glauben wollte. Meine Eltern und Gerd, der Mann meiner Schwester waren schon da und als ich aus dem Auto stieg, kamen meine Eltern zu mir, haben mich in den Arm genommen und mir das gesagt, was ich gehofft habe nie hören zu müssen. Als wir drei uns in den Armen lagen, hätte keine etwas sagen müssen, ich konnte es aus ihren Gesichtern lesen und jetzt wurde mir bewusst, dass ich meine Schwester nicht mehr trösten kann, es nicht nur ein Schock ist. Ich weiß nicht mehr ob es mein Vater oder meine Mutter war, die es aussprach, ich weiß nur noch, dass der Stich ins Herz schon da war, als ich es hörte: Melanie ist tot. Doch diese drei Worte haben den Schmerz erst richtig stark gemacht. Die Gewissheit wäre nicht da gewesen, hätte es mir jemand anderes gesagt aber bei meinen Eltern war ich mir sicher. Trotzdem wollte ich es nicht glauben, es konnte einfach nicht wahr sein, das kann doch nicht passieren, nicht meine Schwester, nicht Melanie, nicht in unserer Familie, so etwas liest man doch nur in der Zeitung.
Ich hatte mich vorher für den nächsten Tag mit einem Freund verabredet. Ich rief ihn an, um unsere Verabredung abzusagen, ich sagte ihm, dass ich nicht kommen kann und, jetzt musste ich das erste mal die Worte selber aussprechen: Melanie ist ermordet worden. In diesem Augenblick habe ich die Situation das erst Mal an mich ran gelassen, mir wurde plötzlich klar, was wirklich passiert ist. Ich konnte nur noch weinen, meine Schwester ist ermordet worden, in meinen Gedanken hörte ich nur noch den Namen Melanie. Mein nächster Gedanke war: was wurde dir angetan, warum du, warum ist das alles wahr, das kann nicht wahr sein.
Die nächsten Tage waren so etwas wie ein Warten auf etwas, was nicht kommen wird. Gerd ist für die Tage zu uns gekommen und ich glaube ich habe immer noch darauf gewartet, dass er sagt: alles nur ein Scherz, obwohl mir klar war, dass darüber keiner scherzt.
Es kam der Tag, an dem wir sie das letzte mal sehen sollten. In einer Kapelle, von den Bestattern hergerichtet, trat ich an ihren Sarg heran. Ich konnte sie sehen, mit all dem, was ihr angetan wurde, mit all den Wunden, mit den Schnittwunden, mit einem Gesicht, welches von den Schlägen auf ihren Kopf verformt war. Dieses Bild werde ich wohl nie vergessen, auch wenn ich versuche, die Bilder, die mich an unsere gemeinsame Zeit erinnern in meinen Gedanken zu behalten, wird immer dieses Bild wiederkehren. Jetzt habe ich das erst mal die Realität wirklich vor Augen und es ist als bricht die ganze Welt über einen zusammen. Deine einzigste Schwester, die, die immer für dich da war und die, für die du alles getan hättest, liegt vor einem, tot und schwer verletzt. Ihre Wunden sind so stark, dass sie noch deutlich zu erkennen sind, jeder Stich, jeder Schlag tut einem Weh.
Viele oder vielleicht jeder kennt die Albträume, aus denen man erwacht und hofft, die Welt ist noch die alte und es ist gar nichts passiert. Nur wenn dieses Gefühl Tage, Wochen und sogar Monate anhält und man glaubt, es geht nie zu Ende, dann merkt man, dieser Traum ist wahr, der Traum, den man nie vorher geträumt hat. So geht es mir noch immer, wenn ich an Melanie erinnert werde, wenn ich ein Foto von ihr ansehe, ihren Namen höre oder irgendwie an die Situation erinnert werde.
Melanie, wohl die beste Schwester, die man sich wünschen kann. Eine Schwester wie sie bedeutet wirklich viel, wir haben eine Menge zusammen unternommen, wie wohl wenige Geschwister. Ich glaube, sie ist der Mensch, der mich am meisten geprägt hat, um so schmerzvoller ist es, diesen Menschen zu verlieren.
Auch wenn ich weiß, dass sie immer bei mir sein wird, vermiss ich sie sehr. Ihre Art, ihren Humor, ihr Lächeln, alles werde ich so nie wieder erleben.
Ich werde dich nie vergessen.
Dein Bruder
2 thoughts on “Bastian”
Es gibt ein Wiedersehen an einem helleren Tag! Da bin ich mir ganz sicher. Die Liebe endet nie und so ist auch Melanie noch immer da. Herzliche Grüße Birgit
Hallo,
ich hatte nach jemandem gesucht und bin irgendwann hier auf dieser Seite „gelandet“.
Das ist ja ganz, ganz furchtbar. Man liest oder hört hin und wieder von so schrecklichen Vorfällen. Jetzt lese ich sozusagen hautnah wie eine Familie leidet.
Es tut mir sehr Leid.
Ich hoffe, dass wir – wenn es soweit ist – unsere Lieben wiederfinden, wiedersehen werden. Das ist nicht unmöglich, niemand weiß es.
Die Seite ist eine gute Idee und sie ist wirklich sehr gut strukturiert und gestaltet. Bastian, das haben Sie wirklich schön gemacht.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute und weiterhin viel Kraft den Eltern, Ihnen als Bruder und natürlich dem Ehemann. Herzliche Grüße